Was passiert, wenn eine Schule den Sprung wagt – raus aus alten Mustern, hinein in eine neue Lernkultur? Im Interview spricht Transformationsbegleiterin Ina Limmer über den mutigen Weg der Adalbert-Stifter-Schule Forchheim, die sich mit Schule im Aufbruch auf einen mehrjährigen Wandel eingelassen hat. Wie schafft man einen kulturellen Kipppunkt? Was macht Veränderung tragfähig? Und warum geht es am Anfang vor allem um Haltung statt um neue Projekte?
Wie kam der Kontakt zur Schule in Forchheim zustande?
Die Zusammenarbeit mit der Adalbert-Stifter Schule Forchheim begann Anfang 2023. Im Rahmen einer Fortbildung der Regierung von Oberfranken war eine Vertreterin der Schule anwesend, der Schulleiter lud uns direkt zu einem Gespräch ein – er war von Anfang an überzeugt vom Konzept der Transformationsbegleitung. Beeindruckend war, dass er bereits die Finanzierung gesichert hatte. Im Juli 2023 fand der Anstiftungs-Workshop statt und im November wurde der sogenannte Aufbruch-Workshop mit dem gesamten Kollegium durchgeführt. Seit Januar 2024 ist die Schule nun offiziell in Phase 2 der Transformationsbegleitung – ein Prozess, der auf rund zwei Jahre angelegt ist.
„Letztlich geht es darum, einen „Kipppunkt“ zu erreichen: Wenn ein Teil des Kollegiums für die Ideen brennt, ein Teil neutral ist und nur wenige dagegen, kann ein Prozess tragfähig sein.“
Kannst du uns etwas zum Profil der Schule erzählen?
Die Adalbert-Stifter-Schule ist eine Grund- und Mittelschule in Forchheim mit insgesamt über 450 Schüler*innen und rund 70 Mitarbeitenden. Zu den pädagogischen Fachkräften gehören neben Lehrkräften auch Schulsozialarbeiter*innen, Erzieher*innen und Schulpsycholog*innen. Die Schule ist eine Inklusionsschule, bietet sowohl gebundenen als auch offenen Ganztag an und ist seit 2024 Teil des Startchancen-Programms. Sie bietet also in mehrfacher Hinsicht ein herausforderndes und zugleich engagiertes Umfeld. Was die Schule in Forchheim besonders macht, ist ihre Offenheit für Veränderung. Der Schulleiter agierte äußerst proaktiv und konnte sogar einen privaten Sponsor finden, um die Finanzierung des Projekts gemeinsam mit dem Schulamt zu sichern. Auch das Kollegium war von Beginn an engagiert: Etwa 20 Mitarbeitende beteiligen sich aktiv im Wandelteam, weitere unterstützen bei einzelnen Projekten.
Wie beginnt eine Transformationsbegleitung mit „Schule im Aufbruch“?
Der erste Schritt ist meist ein unverbindliches Erstgespräch, in dem geklärt wird, welche Unterstützung die Schule tatsächlich benötigt. Dabei ist das Ergebnis offen – es muss nicht zwingend auf eine Transformationsbegleitung hinauslaufen. Manche Schulen interessieren sich auch eher für Formate wie den FREI DAY oder möchten Einblicke ins Netzwerk erhalten.

Wenn sich abzeichnet, dass eine tiefergehende Begleitung sinnvoll ist, folgen erste Workshops, um auszuloten, ob Erwartungen und Arbeitsweisen zusammenpassen. Bei größeren Schulen startet dies oft mit einem Anstiftungs-Workshop, bei kleineren Schulen oder bereits sehr offenen Kollegien wird direkt ein Aufbruch-Workshop durchgeführt. Ziel dieser Auftaktveranstaltungen ist es, das gesamte Kollegium für den Wandel zu sensibilisieren und ein gemeinsames Stimmungsbild einzuholen. Erst dann wird entschieden, ob die Schule sich eine mehrjährige Zusammenarbeit mit Schule im Aufbruch vorstellen kann und es beginnen die Vorbereitungen für die Transformationsbegleitung, wie die Klärung der Finanzierung oder die Schaffung von zeitlichen Ressourcen für das Wandelteam.

Und was passiert nach dem Start?
Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, beginnt die eigentliche Begleitung mit einem Kick-off. Zu diesem Zeitpunkt hat sich meist schon ein Wandelteam gebildet – ein Querschnitt der Schulgemeinschaft, bestehend aus Schulleitung, Lehrkräften, sozialpädagogischen Fachkräften, eventuell auch Schüler*innen und Eltern.
Im Rahmen des Kick-offs werden die nächsten Schritte geplant: Welche Themen stehen an? Welche Termine brauchen wir wann? Welche Formate sind sinnvoll? Dabei orientieren wir uns an einem erprobten Fahrplan, der aber immer individuell an die Möglichkeiten und Bedarfe der Schule angepasst wird.
Kannst du ausmachen, warum sich Schulen für die Transformationsbegleitung entscheiden? Was sind die Auslöser?
Die Gründe sind vielfältig. In Forchheim etwa gab es bereits zahlreiche Schulentwicklungsprojekte, allerdings fehlte bisher der ganzheitliche Blick. Viele einzelne Stränge liefen nebeneinander her. Durch unser Konzept versprach sich die Schule eine gemeinsame Ausrichtung – etwas, das alle mitnimmt.
Oft kommen Schulen auch durch Inspiration, etwa über Veranstaltungen mit Margret Rasfeld, auf uns zu. Manche fragen sich schlicht: Wie kann Schule ganz anders gestaltet werden?
Und was passiert, wenn nicht alle von Beginn an mitziehen?
Dass das gesamte Kollegium sofort mit voller Überzeugung dabei ist, ist eher die Ausnahme. Kritische Stimmen gibt es fast immer. Unsere Aufgabe ist es dann, gemeinsam mit der Schule herauszufinden, ob es sich dabei um echte Vorbehalte handelt oder um Unsicherheiten, die sich mit klärenden Gesprächen und Berücksichtigung der Bedenken abbauen lassen. Manchmal sind es auch schlicht vorsichtige Persönlichkeiten, die erst mal beobachten möchten.

In den Aufbruch-Workshops arbeiten wir mit einem offenen Stimmungsbild. In manchen Bundesländern reicht das aus, um zu starten, andernorts braucht es eine formale Zustimmung. Letztlich geht es darum, einen „Kipppunkt“ zu erreichen: Wenn ein Teil des Kollegiums für die Ideen brennt, ein Teil neutral ist und nur wenige dagegen, kann ein Prozess tragfähig sein.
Was sind die häufigsten Bedenken von Lehrkräften und Schulleitungen?
Die größte Sorge betrifft den zeitlichen Mehraufwand. Wandelteam-Mitglieder sollten etwa ein bis zwei Stunden pro Woche in den Entwicklungsprozess investieren können. Nur in wenigen Bundesländern können die Schulen diese durch eine Reduzierung des Deputats abfedern. Häufig ist es im Kern eine Frage der Prioritätensetzung und der intrinsischen Motivation.
Zudem stellt sich oft die Frage, wie konkrete Lernformate wie Lernbüros oder der FREI DAY umgesetzt werden können. Hier vermitteln wir Kontakte und Hospitationen zu anderen Schulen, die solche Formate bereits leben und unterstützen bei der Umsetzung für die eigene Schule. Im Laufe des Prozesses treten dann häufig Fragen zu Organisation und Entscheidungsstrukturen auf: Wer entscheidet was? Wie vermeiden wir Doppelarbeit? Wie schaffen wir Transparenz?
Das klingt nach klassischen Organisationsthemen. Was bietet SiA hier an?
Wir arbeiten mit dem Loop Approach. Dieser bietet uns einen Werkzeugkasten zu üblichen Organisationsentwicklungsthemen, den wir an den Kontext Schule angepasst haben. Dabei geht es vor allem darum, eine klare Ausrichtung zu entwickeln, Verantwortlichkeiten klar und stärkenbasiert zu verteilen, die Prozesse effektiv zu gestalten, eine offene Feedbackkultur zu etablieren und eine gewisse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit zu entwickeln. Durch ein schrittweises Vorgehen werden Veränderungen in kleinen Schritten getestet, angepasst und verbessert. Es ist vollkommen in Ordnung und sinnvoll, große Veränderungen erst im Kleinen zu testen.

Was sehr gut in Schulen angenommen wird, sind Sync-Meetings. Wer normale Schulkonferenzen kennt, der weiß: Häufig berichtet die Schulleitung Informationen, die manchmal auch gut in einer Infomail Platz hätten oder das Kollegium verzettelt sich in wilden Diskussionen. Etwas dazwischen gibt es relativ selten und dann helfen sehr standardisierte Meetings, in denen Informationen ausgetauscht werden.
Wie wird ein mehrjähriger Transformationsprozess für alle Beteiligten greifbar gemacht?
Zu Beginn arbeiten wir mit mehreren Instrumenten, um Orientierung zu schaffen. Dazu gehört der bereits erwähnte Fahrplan, der Termine und Interventionen sichtbar macht. Die Situationsanalyse bildet den Whole School Approach ab und hilft, die Ausgangslage zu erfassen.
Je nach Bedarf führen wir auch Grundlagen zu Veränderungsprozessen ein, etwa die klassische Veränderungskurve. Damit zeigen wir, dass es normal ist, wenn einzelne Kolleg*innen noch skeptisch sind, während andere im Wandel schon weiterdenken. Das schafft Verständnis füreinander.
Was verändert sich zuerst im Denken der Beteiligten?
In Forchheim war es zunächst ungewohnt, mit Formaten wie Check-ins oder Spannungsspeichern zu arbeiten. Mittlerweile sind diese Tools selbstverständlicher Bestandteil des Miteinanders und werden auch in anderen Kontexten der Schule angewendet. Der Umgang miteinander ist offener, ehrlicher geworden. Auch das Wandelteam versteht sich zunehmend als strategisch agierende Einheit und gestaltet das Führungshandeln im Sinne einer gemeinsamen Vision.
Ein weiterer wichtiger Mindset-Wechsel betrifft das „Denken in Möglichkeiten“. Statt sich an Grenzen zu orientieren, fragen viele inzwischen: „Wer sagt denn, dass wir das nicht dürfen?“ Oder: „Was wäre das Schlimmste, das passieren kann?“ Diese Haltung öffnet Räume.
Und was überrascht die Schulen im Verlauf der Begleitung?
Viele sind überrascht, wie wenig „inhaltlich“ anfangs passiert. Der Fokus liegt in den ersten Monaten stark auf Kultur, Haltung und Vision – das passiert bewusst, um nicht einfach in weitere neue Projekte zu stolpern. Auch überrascht es manche, dass die Beteiligung offen bleibt: Nicht nur das Wandelteam, auch andere Kolleg*innen können sich in Projektgruppen einbringen. Ein wiederkehrendes Thema ist die Kommunikation und Transparenz: Was denkt das Wandelteam, was wirklich angekommen ist – und was kommt tatsächlich im Kollegium an? Auch das ist ein Lernprozess.
Ist das Modell bundesweit übertragbar?
Grundsätzlich ja. Der Standardprozess ist in allen Bundesländern umsetzbar, der Einstieg und die Zeitplanung variieren jedoch. Und auch die Schwerpunkte sind in jeder Schule individuell. Hier folgen wir ganz unserem Prinzip: Die Verantwortung liegt bei der Schule, es ist ihr Weg, den wir ein Stück weit begleiten.
Wo steht die Adalbert-Stifter-Schule Forchheim heute, nachdem sie nun seit Anfang 2024 mit Schule im Aufbruch in die Transformation gestartet ist?
Nach gut 1,5 Jahren befinden wir uns gerade an einem sehr spannenden Punkt. Das Wandelteam hat eine Vision für die Schule entwickelt, das Kollegium eingebunden und wir haben begonnen, auf diese Vision hinzuarbeiten. Es hat sich aber gezeigt, dass die Vision für die Schulgemeinschaft noch zu umfassen und unkonkret war. Daraufhin hat das Wandelteam hier nochmal nachgesteuert und vorgeschlagen, dass die Schuleindividualisiertes, selbstorganisiertes Lernen, Lernen im Projekt und auch das soziale Zusammenleben und Engagement viel mehr ins Zentrum stellen will. Vorbilder sind hier vor allem die Schulen, die den deutschen Schulpreis gewonnen haben. Da für dieses neue Konzept wirklich große strukturelle Veränderungen nötig sind, gab es Anfang Juli dann eine gut vorbereitete Entscheidung der Gesamtlehrerkonferenz.
Unglaubliche 92 Prozent der Stimmberechtigten in der Schulgemeinschaft haben für diese Konkretisierung der Vision gestimmt, yippieh!

Das bedeutet konkret: Die Schulgemeinschaft wird nun in den kommenden Jahren das gesamte Konzept umstellen. Zum Glück sind nun Gelder aus dem Startchancen-Programm vorhanden, sodass wir als Schule im Aufbruch hier auch nach Ende der vorgesehenen zweijährigen Begleitung unterstützen können und auch Umbauten und Personaleinstellungen nicht an den Kosten scheitern sollten.
Wenn ihr jetzt denkt “Das wollen wir auch!“, dann füllt das Aufbruch-Formular aus und kommt mit unseren regionalen Ansprechpartner*innen in den Austausch.